Was unter dem Begriff «Metaverse» zusammengefasst wird, nimmt immer mehr Form an. Dr. Garif Yalak* befasst sich mit der Thematik. Wir sprechen mit ihm über den Stand der Dinge, Ciscos Beitrag, potenzielle Anwendungen und blicken in die Zukunft.
Garif Yalak, kommt mit dem Metaverse etwas Neues, Revolutionäres auf uns zu?
Neu ist die Idee einer virtuellen Welt nicht. Das Konzept des Metaverse wurde bereits 1992 im Roman Snow Crash von Neil Stephenson beschrieben. Erste Erfahrungen wurden in den 2000ern mit Second Life gesammelt. 20 Jahre später sind viele der Basistechnologien fortgeschritten und wir haben viele neue Möglichkeiten.
Unter dem Strich ist es eine logische Weiterentwicklung des Internets, wie wir es kennen. Plakativ gesagt wird das heutige zweidimensionale Internet dadurch in Zukunft dreidimensional. Dank neuster Hardware, massiver Vernetzung, starker Rechenleistung und dem Fortschritt von Technologien wie Grafikleistung, Virtual Reality und Augmented Reality kommt man dem Konzept einer virtuellen Welt näher, in der sich Personen als 3D-Avatare und später als fotorealistische Hologramme bewegen, untereinander und mit Gegenständen interagieren. Seit den 2000ern haben sich auch neue Technologien wie Blockchain etabliert, die wiederum neue Anwendungen wie Kryptowährungen und «Non Fungible Tokens», kurz NFTs, hervorbrachten. Dank NFTs kann man Objekten in dieser Welt einen Wert geben. Das macht das Metaverse auch für die Wirtschaft interessant.
Viele Menschen bewegen sich bereits im Metaverse: Games wie Roblox und Fortnite ziehen täglich Millionen von Spielern an und werden zu attraktiven Plattformen auch für die Wirtschaft. Wie sieht die Zukunft im Metaverse aus?
Diese Plattformen zeigen vor allem, dass die Gesellschaft keine Berührungsängste mit der Technologie hat und bereits mit aktuellen Anwendungen sehr viel möglich ist. Die Gaming-Industrie nimmt bei der Entwicklung eine Schlüsselrolle ein. Heute wird die Anzahl von Gamern mit 3 Milliarden beziffert. Fortnite allein hat im Jahr 2021 5.8 Milliarden Dollar Umsatz gemacht. Die nötige Hardware und Technologien wie VR, AR und 3D-Grafik haben sich bereits etabliert. Hinzu kommen neue Möglichkeiten wie Haptik-Technologien, mit denen man in 3D-Welten die Umgebung fühlen soll. In Zukunft sehe ich, dass das Metaverse nicht nur den Spieltrieb, sondern auch andere Bedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer befriedigt.
Zum Beispiel?
Da gibt es zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten mit enormem Potenzial. Denken wir zum Beispiel an das Bildungswesen, wo von virtuellen Rundgängen in einer menschlichen Zelle, die Besichtigung des alten Roms bis hin zur Erkundung des Weltraumes alles möglich ist. Der Fantasie sind hier keine Grenzen gesetzt. Für das Gesundheitswesen gibt es ebenfalls spannende Ansätze. Besonders interessant sind Hologramm Meetings und das Digital Twin Konzept: Damit können Patienten und Mediziner die Sprechstunde mithilfe von fotorealistischen Hologrammen durchführen und zusätzlich medizinische Daten und Konzepte visuell und einfach verständlich vermitteln. Bereits heute existieren virtuelle Welten für das Gesundheitswesen. Hier haben Patienten, Personal, Kliniken, Universitäten, Versicherungen und andere Unternehmen aus dem Gesundheitssektor die Möglichkeit, miteinander zu interagieren. Neben den eigenen Angeboten sollen Institutionen aus aller Welt die Möglichkeit erhalten, Kliniken zu eröffnen, indem sie Areale mieten oder kaufen. Dort können sich Patienten informieren und beraten lassen, medizinisches Personal wird ausgebildet, zum Beispiel, indem virtuell Operationen simuliert werden und so praktische Erfahrung vermittelt wird. Auch Therapiestunden können abgehalten werden. Technologisch ist hier viel möglich, dennoch gibt es einige Hürden. Die entsprechenden regulatorischen Rahmenbedingungen müssen geschaffen werden, Standardisierung etabliert werden und auch ein barrierefreier Zugang muss gewährleistet werden. Auch in anderen Bereichen gibt es zahlreiche Anwendungen im Metaverse, wie in der Produktion, dem Verkauf von Produkten jeglicher Art, virtuelle Arbeitsformen, Konzerte oder Kunstausstellungen, um nur einige Beispiele zu nennen.
Womit wir gerade bei einem Sorgenkind sind, was das Metaverse betrifft: Die Sicherheit. Analysen von Ciscos Cybersecurity-Arm Talos gehen davon aus, dass sich auch eine Menge Cyberkrimineller darauf tummeln werden.
Davon müssen wir leider ausgehen. Die Cisco Talos Intelligence Group ist eines der grössten kommerziellen Threat Intelligence Teams der Welt mit über 400 Experten. Dieses Team allein verhindert heute jährlich 7,2 Billionen Cyberangriffe. Zusätzlich zu den heutigen bestehenden Gefahren kommen neue Angriffsflächen hinzu, die durch neue Technologien wie Blockchain, NFTs und dezentrale Strukturen entstehen. Bereits im Jahr 2025 werden durch Cyberangriffe weltweit mehr als 10 Billionen Dollar Schaden verursacht. Heute steht bei Angriffen der Mensch als Zielscheibe im Mittelpunkt, zum Beispiel bei Phishing oder Social Engineering. In Zukunft wird zusätzlich die komplexere Technologie in den Fokus der Angreifer rücken. Der hohe Wert von Avataren, Kryptowährung, NFTs, Tokens, Trademarks und geistigem Eigentum im Metaverse dürfte dabei besonders interessant sein.
Umso wichtiger ist es, dass die Netzwerkinfrastruktur entsprechend geschützt ist und die Userinnen und User für die Risiken sensibilisiert werden. Das hat höchste Priorität.
Es gab in der Vergangenheit immer wieder Versuche, virtuelle Welten aufzubauen. Vieles, was wir heute sehen, sieht optisch aus als käme es aus den 90er-Jahren, weil für realistischere Darstellungen schlicht zu wenig Rechenleistung und Bandbreite zur Verfügung steht.
Das kann ich teilweise so bestätigen. Viele der bestehenden Plattformen greifen in der Tat auf diese Konzepte zurück, weil wir noch weit davon entfernt sind, das komplette Metaverse fotorealistisch für Milliarden von Menschen aufzubauen. Die heutige Infrastruktur ist noch nicht bereit für das Konzept des Metaverse. Es müssen riesige Datenmengen verarbeitet werden, dafür braucht es mehr Bandbreite. Neue Entwicklungen wie WiFi6 oder 5G können in Zukunft den Zugang erleichtern und die Reaktionszeit reduzieren, damit die Interaktionen wirklich live und simultan passieren können.
Das heutige Internet ist mehrschichtig und recht komplex aufgebaut. Diese Komplexität gilt es zu reduzieren, damit effizientere Datenautobahnen aufgebaut werden können. Auch das Netzwerk muss einfacher und skalierbarer sein. Die Netzwerkinfrastruktur muss weiterentwickelt werden, um diesen Anforderungen gerecht zu werden. Und daran arbeiten wir. Gleichzeitig haben wir bei der Entwicklung von Hard- und Software und auch bei der Netzwerkinfrastruktur bereits enorme Fortschritte gemacht. Wir sind heute in der Lage, Virtual Reality, Augmented Reality und künstliche Intelligenz in einer Qualität anzubieten, die eine Verschmelzung von realen und künstlichen Welten ermöglicht. Nehmen wir Webex Hologram…
…die Meeting-Software, in der sich die Teilnehmenden in virtuellen Räumen treffen und sich in einer 3D-Umgebung begegnen?
Genau. Webex Hologram legt die Grundlagen für Meetings im Metaverse. Personen können sich von beliebigen Standorten in die Meeting-Umgebung einwählen und die fotorealistischen Hologramme der anderen Teilnehmenden sehen. Objekte werden dreidimensional dargestellt und alle im virtuellen Raum können damit interagieren.
Das tönt nach Zukunftsvision. Wie lange dauert es noch, bis diese Technologie zur Verfügung steht?
Es handelt sich nicht mehr um eine Vision. Bei ersten ausgewählten Kunden von Cisco ist Webex Hologram bereits im Einsatz. Wir sammeln Erfahrungen und weiten den Kreis der Anwendenden laufend aus.
Wie sieht Cisco das Metaverse, wo viele andere grosse Player ebenfalls mit Hochdruck reinpreschen?
Viele sprechen zurzeit über Metaverse – dabei müssen wir eingestehen, dass keiner richtig weiss, wie es sich in der Zukunft entwickelt, wie es aussehen wird und wie die Menschen Metaverse nutzen möchten. Ob in der realen Welt oder in virtuellen Welten, wie dem Metaverse, geht es für uns um die sogenannten «Experiences» und deren Umwandlung. Die «App Economy» wandelt sich langsam in die «Experience Economy» um und dies bedeutet digitale Transformation in einem noch nie da gewesenen Ausmass. Alle Aspekte des heutigen Internets müssen sich weiterentwickeln, damit die Vision vom Metaverse Wirklichkeit wird: von der Bereitstellung der Anwendungen bis hin zur Infrastruktur und der Sicherheit.
Cisco ist seit 30 Jahren der Pionier und weltweite Marktführer bei der Vernetzung des Internets. Ein stabiles, modernes und sicheres Netzwerk ist die Basis des Metaverse. Wir sprechen von riesigen Datenmengen, die übertragen, gespeichert und berechnet werden müssen. Cisco Technologien liefern die Bausteine für sichere Übertragung, Speicherung und Berechnung. Darüber hinaus gilt Cisco als eine der grössten Cybersecurityfirmen der Welt und kann einen enormen Beitrag zur Sicherung des Metaverse leisten. Wie bereits in der Vergangenheit ist Cisco perfekt positioniert, um die Welt zu vernetzen und das Internet voranzubringen. Das Metaverse ist das grosse Neuland für die Wirtschaft und für Privatleute. Unsere Lösungen sind die Grundbausteine der entstehenden Metaverse-Konzepte.
* Dr. Garif Yalak ist Head of Digital Transformation und leitet Ciscos Digitalisierungs- und Innovationsinitiative für die Bereiche Gesundheitswesen, Bildung und Governance bei Cisco Schweiz. Er hat einen B. Sc. in Bioinformatik, einen M. Sc. in Biomedizin aus Deutschland und einen Ph. D. der ETH Zürich in beiden Disziplinen. Zuvor war er mehr als 10 Jahren als Bioinformatiker und Biomediziner in der Gesundheitsforschung in Deutschland, den USA und der Schweiz tätig. Er war ebenfalls mehrere Jahre als Wissenschaftler und Dozent an der ETH Zürich und der Harvard Universität tätig, wo er mehr als 8 Jahre den Schweizer Supercomputer CSCS nutzte. Zurzeit fokussiert er sich in seinem Executive MBA an der Universität St. Gallen auf die Chancen und Risiken des Metaverse.
Quelle:
Webex Hologram: fotorealistische Echtzeit-Hologramme von realen Personen für Gespräche von Mensch zu Mensch
https://www.nzz.ch/promoted-content/das-metaverse-ist-das-grosse-neuland-ld.1694086